Nachdem die EU-Kommission den VSME-Standard als freiwilligen Berichtsstandard für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) empfohlen hat, fragen sich viele, wie sie in Bezug auf die Wesentlichkeitsanalyse vorgehen sollen. Wir beantworten in diesem Artikel, was sich mit dem VSME dahingehend ändert, für welche Unternehmen eine Wesentlichkeitsanalyse Sinn macht und wie diese effektiv vereinfacht werden kann.
Die Rolle der Wesentlichkeitsanalyse im VSME
Zunächst das Wichtigste: für die Berichterstellung nach dem VSME-Standard ist die Wesentlichkeitsanalyse nicht verpflichtend. Es handelt sich bei dem VSME um einen freiwilligen Berichtsrahmen, der bereits vor Einleitung des Omnibusverfahrens speziell für kleine und mittlere Unternehmen entwickelt wurde mit dem Ziel mit wenig Aufwand die wichtigsten ESG-Kennzahlen an Banken, Geschäftspartner oder Kunden übergeben zu können. Anders als bei der CSRD und den ESRS, geht es beim VSME nicht um einen Rahmen für die Steuerung von Nachhaltigkeit im Unternehmen, sondern in erster Linie um die strukturierte Bereitstellung von Nachhaltigkeitsinformationen. Damit entfällt konsequenterweise die auch Wesentlichkeitsanalyse als grundlegendes Steuerungsinstrument in Unternehmen.
Bedeutet das, dass die Wesentlichkeitsanalyse für KMU grundsätzlich nicht mehr relevant ist?
Hier gilt es zu differenzieren: Wenn Unternehmen einen VSME-Bericht erstellen, um damit möglichst schnell diverse ESG-Datenabfragen von externen Parteien zu beantworten, ist die Wesentlichkeitsanalyse erst einmal nicht notwendig. Wenn aber die Erstellung eines VSME-Berichts den Anlass gibt, ein strukturiertes ESG-Datenmanagement oder gar eine Nachhaltigkeitsstrategie zu implementieren, dann ist eine Wesentlichkeitsanalyse unumgänglich. Selbstverständlich können Unternehmen auch zu einem späteren Zeitpunkt eine Wesentlichkeitsanalyse durchführen, nachdem bereits ein VSME-Bericht erstellt wurde. Sowieso sollte eine Analyse regelmäßig durchgeführt werden, z.B. alle zwei Jahre.
Wesentliche Themen zu identifizieren ist wie Kofferpacken
Wir vergleichen den Prozess der Wesentlichkeitsanalyse gerne mit dem Prozess des Kofferpackens. Wenn man sich auf eine Reise vorbereitet, hat man in der Regel eine begrenzte Kapazität für die Mitnahme von Sachen, wie Kleidung, Ausrüstung usw. Man überlegt sich gut, was man mitnehmen möchte, und versucht dabei so gut es geht effizient (platzsparend) und effektiv (die richtigen Sachen) zu packen. Es ist dabei unmöglich den gesamten Hausstand mit auf die Reisen zu nehmen. So verhält es sich auch mit Nachhaltigkeitsthemen. Unternehmen können unmöglich alle denkbaren Nachhaltigkeitsthemen adressieren (das wäre ineffizient) und sollten auch nicht nach Belieben Themen aussuchen (das wäre ineffektiv und würde schnell zu Greenwashing führen). Zur Orientierung: das Ergebnis einer Wesentlichkeitsanalyse umfasst in der Regel die Identifikation von 8-15 Themen.
Die Wesentlichkeitsanalyse ist also der entscheidende Prozess, durch den Unternehmen sicherstellen, dass sie die Nachhaltigkeitsthemen identifizieren, die wirklich relevant und wesentlich sind, und zwar in zwei Dimensionen:
- Wesentlichkeit der Auswirkungen: Welche positiven und negativen Auswirkungen hat mein Unternehmen auf Umwelt und Gesellschaft?
- Finanzielle Wesentlichkeit: Welche Risiken und Chancen ergeben sich aus Nachhaltigkeitsthemen für Gewinn oder Reputation?
Die Analyse hilft, sich auf die relevanten Themen zu konzentrieren und zu vermeiden, dass Ressourcen auf nebensächliche Inhalte verschwendet werden. Damit bildet sie ein strategisches Fundament, auf dem spätere Nachhaltigkeitsmaßnahmen, wie die Strategieentwicklung oder die die Berichterstellung einfacher und strukturierter aufgebaut werden können.
Was hat das Falls-zutreffend-Prinzip mit Wesentlichkeit zu tun?
Das Falls-zutreffend-Prinzip im Kontext des VSME-Standards wird öfters mit dem Prinzip der Wesentlichkeit verglichen und manchmal durcheinandergebracht, dabei ist klar: Nur weil ein bestimmtes Nachhaltigkeitsthema als nicht-zutreffend eingestuft wird, heißt dies nicht, dass dieses Thema nicht wesentlich ist.
Worum geht es beim Falls-zutreffend-Prinzip genau? Der VSME unterscheidet zwischen verpflichtenden, freiwilligen und schwellenwertabhängigen Angaben sowie eben Angaben gemäß des Falls-zutreffend“-Prinzips („If applicable“). In Absatz 13 zur Zielsetzung des VSME-Standards wird erklärt:
„Bestimmte Angaben gelten nur für bestimmte Umstände. In den Anweisungen, die in jeder Angabe enthalten sind, werden diese Umstände und die Informationen genannt, die nur zu melden sind, wenn das Unternehmen sie für „zutreffend“ hält.“
Ein konkretes Beispiel dazu
Unter C3 zum Thema Emissionsreduktionsziele steht:
„Hat das Unternehmen Ziele für die Verringerung der THG-Emissionen festgelegt, so legt es seine Ziele in absoluten Werten für Scope-1- und Scope-2-Emissionen offen.“
Durch die „Wenn-Formulierung“ zu Beginn wird bereits deutlich, dass hier das Falls-zutreffend-Prinzip gilt und bedeutet, dass Unternehmen nur dann ihre Werte für Scope 1- und 2-Ziele angeben, wenn es diese Ziele gesetzt hat. Werden diese Angaben nicht gemacht, wird davon ausgegangen, dass das Unternehmen solche Ziele nicht gesetzt hat. Dennoch kann das Thema Treibhausgasemissionen gerade für energieintensive Industrien ein wesentliches Thema sein und damit verbunden auch die Notwendigkeit Emissionsreduktionsziele zu setzen und diese fortlaufend zu messen.
Nun bleibt noch die Frage offen, ob es möglich ist den Prozess der Wesentlichkeitsanalyse und die Berichterstellung nach VSME sinnvoll zusammenzubringen.
So kann die Wesentlichkeitsanalyse pragmatisch und effizient umgesetzt werden
Gerade im Kontext des Omnibusverfahren wurde deutlich, dass eine prüfsichere Doppelte Wesentlichkeitsanalyse, wie sie die CSRD voraussetzt, viele Unternehmen überfordert. Das ist verständlich, denn der Prozess erfordert die Einbindung vieler Parteien, ist inhaltlich komplex und dauert in vielen Fällen mehrere Monate. Die Frage, die sich für KMU stellt, ist, ob es einen Weg gibt eine schlanke Wesentlichkeitsanalyse durchzuführen, die nicht so aufwändig ist und trotzdem eine solide Basis für die gezielte Entwicklung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen bildet. Hier sehen wir einige Möglichkeiten.
Die folgenden Ansätze zur Vereinfachung haben sich in der Praxis bewährt:
- Themenvorauswahl anhand von Branchenstandards und -informationen
Statt bei null zu starten, können Unternehmen eine kuratierte Liste relevanter ESG-Themen (z. B. aus dem VSME-Leitfaden oder branchenspezifischen ESG-Rahmenwerken) nutzen, um eine erste Vorauswahl zu treffen. Auch der Blick auf die Nachhaltigkeitsthemen von Mitbewerbern kann helfen, die eigene Themenliste einzugrenzen, ohne eine umfangreiche Analyse vorzunehmen. - Kompakte Stakeholder-Abfrage
Eine kurze Online-Befragung (z. B. unter Mitarbeitenden, Kund*innen oder Geschäftspartnern) reicht oft aus, um ein Gefühl für die extern wahrgenommenen Schwerpunktthemen zu bekommen. Auch die Durchführung eines gut moderierten Workshops kann oft effizienter sein als aufwändige Einzelinterviews oder Umfragen. Workshops für interne Mitarbeiter*innen können aufgrund des persönlichen Austauschs zudem das Commitment für Nachhaltigkeitsthemen erhöhen. - KI-gestützte Tools nutzen
Gängige Praxis ist inzwischen auch mit Hilfe von KI-Tools (wie ChatGPT) wesentliche Themen zu identifizieren und darüber erste Einblicke zu gewinnen. Die Themen sollten aber validiert werden, z.B. in Verbindung mit einer Stakeholder Befragung (s. Punkt 2). Es gibt auch Softwareanbieter, die mithilfe von KI auf Knopfdruck Themenlisten generieren können, welche aber in der Regel kostenpflichtig sind. - Bewertungs- und Priorisierungslogik anpassen
Ein großer Bestandteil des Analyseprozesses gemäß einer CSRD-konformen Wesentlichkeitsanalyse ist das Durchexerzieren einer ausgefeilten Bewertungslogik, die bestimmt, welche Themen als wesentlich eingestuft werden. Die geläufigen Bewertungskriterien sind u.a. Ausmaß, Umfang und Eintrittswahrscheinlichkeit von Auswirkungen oder auch Ausmaß und finanzieller Effekt sowie Eintrittswahrscheinlichkeit bei finanziellen Chancen und Risiken. Statt hier für jedes potenzielle Thema eine detaillierte Bewertung vorzunehmen, kann eine andere Form der Bewertung herangezogen werden, z.B. eine Priorisierung der Themen nach Kriterien, wie z.B. des unternehmenseigenen Hebels (wo kann das Unternehmen schon jetzt einen Unterschied machen), der zur Verfügung stehenden Ressourcen oder der Anschlussfähigkeit an die Unternehmensstrategie erfolgen. - Zum Schluss: Toolgestützte Vorlagen nutzen
Es gibt inzwischen einfache, digital unterstützte Tools und Excel-Vorlagen, mit denen Unternehmen arbeiten können. Auch wir stellen eine solche Vorlage zur Verfügung mit dem Fokus auf Einfachheit und Praktikabilität, sodass Sie schnell zu einer ersten Wesentlichkeitseinschätzung gelangen. Sie beinhaltet eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, wie Sie vorgehen können und beispielhafte Themen für potenziellen Auswirkungen sowie finanziellen Chancen und Risiken.
Trotzdem kann es wertvolle Ressourcen sparen, gerade bei der ersten Erstellung externe Unterstützer in Anspruch zu nehmen.
Unser Angebot für Sie:
Als spezialisierte Nachhaltigkeitsberatung für KMU unterstützen wir Sie dabei, Ihre Wesentlichkeitsanalyse pragmatisch, zielführend und passgenau umzusetzen, auf Wunsch auch im Rahmen einer VSME-Berichtserstellung.
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